75 Jahre Grundgesetz - Rede Wolfgang Ziegler


Diese Würdigung der Verfassung unseres Landes und die Bedeutung der Grund- und Menschenrechte wurde insbesondere auch durch die Rede von Wolfgang Ziegler, Vorsitzender der Gemeindevertretung, hervorgehoben.

Um uns selbst immer wieder bewusst zu machen, wie wertvoll dieser Verfassungstext und unsere Demokratie sind, veröffentlichen wir die Rede von Wolfgang Ziegler an dieser Stelle.

Claus Steinmetz
Bürgermeister



Rede Wolfgang Ziegler, Vorsitzender der Gemeindevertretung der Gemeinde Wabern anlässlich des 75-jährigen Bestehens des
Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland


Nachdem wir nun ein wenig zurückgeblickt haben auf die Historie der Gemeinde Wabern mit ihren Ortsteilen, nachdem wir auch dort einen kleinen Ausblick in die Zukunft gemacht haben, bitte ich noch ein wenig um Ihre Aufmerksamkeit, denn es ist mir ein ganz persönliches Anliegen am heutigen Tage auf das Jubiläum unseres Grundgesetzes hinzuweisen.

Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Ich glaube, dies ist ein Satz, den wir alle schon gehört haben. Es ist der erste Satz im Art. 1 unseres Grundgesetzes.

Auf der Leinwand sehen wir in Dauerschleife die ersten 19 Artikel des Grundgesetzes, das am 23. Mai 1949 in Kraft getreten ist. Geschaffen wurde dieses Regelwerk im Auftrag der westlichen Alliierten durch den parlamentarischen Rat. Dies waren 65 Personen.

Es gab erhebliche Vorbehalte seitens der politischen Parteien gegen die Anweisung der Alliiertenmächte, das Grundgesetz durch den parlamentarischen Rat zu erarbeiten. Sowohl Konrad Adenauer als auch Carlo Schmid von der SPD waren der Ansicht, dass nur ein souveräner Staat sich eine Verfassung geben könne.

 

Dass beide dann an der Schaffung des Grundgesetzes mitarbeiteten, muss man letztlich als Realpolitik bezeichnen. Konrad Adenauer hat schließlich auch den Vorsitz des parlamentarischen Rates übernommen.

Bei unserer Gesprächsrunde zum Thema 50 Jahre Wabern haben wir darauf geachtet, dass auch in gleichem Maße Männer und Frauen an der Diskussion beteiligt waren. Dies war zu Zeiten der Schaffung des Grundgesetzes keineswegs so selbstverständlich wie es jetzt für uns heute ist. Von den 65 Mitgliedern des Parlamentarischen Rates waren vier Frauen - nur vier Frauen muss man eigentlich sagen, die sich aber mit großer Kraft in der Diskussion eingesetzt und auch in erheblichem Maße zur Stärkung der Frauenrechte bei der Erarbeitung des Grundgesetzes beigetragen haben.

Ich erinnere hier insbesondere an Art. 3 des Grundgesetzes. Hier wird in Abs. 2 ausdrücklich die Gleichberechtigung von Männern und Frauen festgelegt. Ein Recht, welches wir insbesondere dem großen Engagement einer Kasseler Rechtsanwältin, Frau Elisabeth Selbert, zu verdanken haben. Sie war es, die erst im Rahmen einer öffentlichen Kampagne diese Rechte gegen den Willen der 61 Männer des parlamentarischen Rates durchsetzen konnte.

Sie sehen also, es waren durchaus dramatische Zeiten in der damals jungen Bundesrepublik Deutschland. Man hat auch diesem Regelwerk nicht die Bezeichnung Verfassung gegeben, man hat es Grundgesetz genannt, damit sollte dem vorläufigen Charakter Rechnung getragen werden. Man wollte, und dies ist sicherlich auch aus heutiger Sicht durchaus richtig und verständlich, die Teilung Deutschlands nicht durch ein entsprechendes Gesetz noch manifestieren.

Im Laufe der Jahre hat es einige Veränderungen gegeben. Am 1.1.1957 wurde das Saarland Bestandteil der Bundesrepublik und gelangte damit auch in den Geltungsbereich des Grundgesetzes. Mit der Wiedervereinigung Deutschlands und mit dem Einigungsvertrag wurde am 3. Oktober 1990 das Grundgesetz die Verfassung des gesamten deutschen Volkes.

Auch zu diesem Zeitpunkt hat man bewusst darauf verzichtet, dem mit der Wiedervereinigung entstandenen neuen Staat eine neue Verfassung zu geben, es waren auch hier realpolitische Gründe, die zu diesem Verzicht geführt haben. Es ging einfach darum, die Wiedervereinigung so schnell wie möglich zu realisieren, damit Kräfte, die gegen ein wiedervereinigtes Deutschland waren, keine Möglichkeit bekamen, diesen Einheitsprozess zu stören.

Es gab immer wieder Anpassungen des Grundgesetzes. So gab es Anpassungen im Bereich des Asylrechts, Anpassungen auch im Bereich des Umweltschutzes und des Tierschutzes.

Zum Schluss, nach diesen historischen Betrachtungen, möchte ich noch einmal auf den Art. 5 des Grundgesetzes eingehen. Ich glaube dies ist ein Artikel, der gerade durch die allgegenwärtigen neuen Medien eine erhebliche Bedeutung hat. Art. 5 garantiert das Recht auf Meinungsfreiheit.

Ich stelle fest, dass es erhebliche antidemokratische Bewegungen gibt, und ich scheue mich da auch nicht die AfD als Partei zu nennen, die das Recht auf Meinungsfreiheit dahingehend missbraucht, andere Menschen bzw. Menschengruppen zu diffamieren und in ihrer Würde zu schädigen.

Meinungsfreiheit, meine sehr verehrten Damen und Herren, darf niemals mit Beleidigungen und ehrverletzenden Äußerungen verwechselt werden. Meinungsfreiheit ist sicherlich ein Stück gelebte Demokratie, Meinungsfreiheit hat aber die Grenzen dort, wo strafrechtliche Normen verletzt werden.

Gerade in der Anonymität sozialer Medien wird dies vielfach nicht beachtet.

In diesem Sinne möchte ich mit diesen Ausführungen die heutige Sitzung schließen. Ich bitte Sie alle, nachdem wir jetzt auch in der Endlosschleife die ersten 19 Artikel des Grundgesetzes hier immer wieder lesen konnten, ein wenig darüber nachzudenken, wie wichtig dieses Regelwerk für unsere Demokratie ist, außerdem bei allem, was uns an Informationen durch Medien, durch soziale Medien, gegeben wird, auch genau zu prüfen, ob das, was dort gesagt oder geschrieben wird, auch immer mit diesem Regelwerk konform ist.

Damit schließt sich der Kreis, wir kommen zurück auf den Anfangssatz:

Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.“