Nachfahren ehemaliger jüdischer Mitbürger in Wabern zu Besuch


Julius Mandelbaum (Kaiser) mit seiner Ehefrau Josephine Maria Weber, die Großeltern von Sabina Howell und Bettina Armour (undatierte Fotografie, Archiv Thomas Schattner)

Vom 13. bis zum 15. Mai waren die beiden US-amerikanischen Enkeltöchter von Julius Mandelbaum zu Besuch in Wabern. Die 70-jährige Sabina Howell aus Washington State (an der Westküste und an der Grenze zu Kanada gelegen) und ihre sieben Jahre jüngere Schwester Bettina Armour aus Virginia (Ostküste der USA) kamen erstmals mit ihren Ehemännern Franz und Dennis auf den Spuren ihrer Vorfahren nach Wabern. Im Vorfeld hatten sie Kontakt zu Thomas Schattner aufgenommen, der u.a. auch zur jüdischen Geschichte Waberns publiziert hat.

Julius Mandelbaum wurde am 18. April 1883 in Wabern geboren. Er war das älteste von sieben Kindern des Handelsmanns Hermann Mandelbaum (1854 bis 1933) und seiner Ehefrau Esther, genannt Emma, Biermann (1855 bis 1933). Spätestens seit dem Jahr 1890 wohnte die Familie im Haus „Am Markt 1“ in Wabern (später Frisörsalon Martina Nennstiel-Koch).

Julius (1883 bis 1956) hatte am 4. Oktober 1911 in Kassel Josephine Maria Weber (1886 bis 1978), deren Familie Wurzeln im heutigen Bad Zwesten hat, geheiratet. Später lebte die Familie in Bielefeld und ab dem Jahr 1914 in Berlin. In den 1920er Jahren übernahm Julius zusammen mit einem Partner in Berlin die Firma „Steindorff & Co“, die sich in auf die Produktion von Mikroskopen spezialisiert hatte. Zwischen 1879 und den 1980er Jahren wurden in den rund einhundert Jahren 100.000 Mikroskope von den jeweiligen Inhabern produziert.

In den Jahren 1912 und 1920 wurden Sohn Horst-Heinz und Tochter Ingeborg Hannelore geboren. Die vierköpfige Familie überlebte die nationalsozialistische Zeit mit viel Glück und durch den Einfluss und die Bekanntheit von Julius Mandelbaum. Trotzdem mussten Julius und Josephine untertauchen. Das Kriegsende erlebte das Ehepaar in Bad Harzburg.

Julius Mandelbaum (Kaiser) mit seiner Tochter Ingeborg Hannelore, der Mutter von Sabina und Bettina (undatierte Fotografie, Archiv Thomas Schattner)

Ende der 1940er Jahre wanderte Tochter Ingeborg Hannelore in die USA aus. Dort heiratete sie im Jahr 1951 Joseph Dudley Howell. Aus dieser Ehe entstammen die beiden Töchter Sabina und Bettina.

Zunächst besichtigten die vier amerikanischen Gäste zusammen mit Thomas Schattner Wabern auf den Spuren ihrer Vorfahren den alten Ortskern mit dem Mandelbaum-Haus. Besonders erweckte das Mahnmal für die Opfer von Krieg und Gewalt vor der evangelischen Kirche das Interesse der Besucher. Weitere Stationen waren u.a. die in der Bahnhofstraße verlegten Stolpersteine für die Familien Frenkel und Löwenstein sowie das alte landgräfliche bzw. kurfürstliche Jagdschloss. Dort war im Sommer 1933 für drei Tage von der SA (Sturmabteilung der NSDAP, paramilitärisch) ein „Wildes Konzentrationslager“ eingerichtet worden, um politisch Andersdenkende und jüdische Mitbürger zu terrorisieren und zu foltern, um sie damit für das nationalsozialistische Deutschland gefügig zu machen. Denn noch gab es keine Pläne, was mit der jüdischen Minderheit im Deutschen Reich geschehen sollte.

Mittendrin empfing Bürgermeister Claus Steinmetz als Überraschung die Gäste im Waberner Rathaus. Dort entwickelte sich eine spannende Diskussion über Wabern in Vergangenheit und Gegenwart.

Bürgermeister Claus Steinmetz mit Bettina Armour und Sabina Howell (v.l.n.r.) vor der Gemeindeverwaltung Wabern (Fotografie: Thomas Schattner)

Anschließend ging es nach Fritzlar, denn auch dort hatten die Vorfahren der beiden Spuren hinterlassen Auf dem jüdischen Friedhof in Fritzlar wurde der Platz aufgesucht, an dem sich das Grab der Urgroßeltern von Sabina und Bettina befand. Leider ist dieses nicht erhalten. Dazu wurden die Orte der ehemaligen jüdischen Schule, die sämtliche Kinder der Mandelbaums besucht haben müssen und der im Dezember 1938 abgerissenen Synagoge in der Domstadt besucht. Diese bildete auch für die Familie Mandelbaum das geistige und kulturelle Zentrum ihrer Religion. Aber auch der historische Marktplatz, die Altstadt, der Dom und das Bonifatius-Denkmal fanden das Interesse der Besucher. Im Fritzlarer Ortsteil Ungedanken wurde schließlich auf dem jüdischen Friedhof der Vorfahren von Urgroßmutter Emma Biermann gedacht.

Voller neuer Eindrücke über ihre familiären Wurzeln kehrten Sabina und Bettina mit ihren Ehemännern nach ihrem Besuch in Wabern zurück in die USA.

Franz und Sabina Howell, Bettina Armour und Ehemann Dennis (v.l.n.r.) vor dem Waberner Haus „Am Markt 1“, in dem bis 1933 ihre Mandelbaum-Vorfahren lebten (Fotografie: Archiv Thomas Schattner)

Vielleicht bietet der Besuch der beiden Nachfahrinnen einen Anlass, darüber nachzudenken, nach den Mitgliedern der Familien Frenkel und Löwenstein auch für die Familie Mandelbaum/Kaiser Stolpersteine in Wabern setzen zu lassen.

Fotograf und Verfasser: Thomas Schattner